Vom 14. Juni bis 15. Juli 2018 steht die Welt wieder still – zumindest für die Stunden, in denen in Russland ein runder Ball über den Rasen rollt und 32 Mannschaften um Erfolg, Ehre und den Pokal kämpfen. Neben spannenden Spielen stehen bei einer Weltmeisterschaft auch jedes Mal große Emotionen auf dem Spielplan.
Bei kaum einem anderen Ereignis fühlen sich Menschen mehr vereint als beim Anfeuern ihres Fußball-Teams. Wenn zu Beginn der Spiele die Nationalhymnen ertönen, kann man Spieler und Fans sehen, die voller Inbrunst mitsingen und zu einer singenden Gemeinschaft verschmelzen. Woran liegt das?
Wir sind der Frage nachgegangen, welche Rolle die Nationalhymnen überhaupt spielen. Sind sie in unserer globalisierten Welt noch zeitgemäß? Wie unterscheiden sich Nationalhymnen voneinander und warum sind manche beliebter als andere? Dafür haben wir bei YouTube und Google recherchiert. Mit interessanten Ergebnissen.
Auf dem ersten Platz der beliebtesten Nationalhymnen steht “Lofsöngur”, die Nationalhymne der Isländer. Gleich dahinter kommt die französische Marseillaise, die wohl zu einer der bekanntesten Hymnen gehört. Am wenigsten Begeisterung finden die Nationalhymnen afrikanischer Länder, von denen gleich mehrere auf den letzten Plätzen liegen. Das “Lied der Deutschen” liegt im unteren Mittelfeld.
“Einigkeit und Recht und Freiheit” – wie stehst du zur deutschen Nationalhymne? Würdest du mitsingen, wenn du bei der WM im Stadion stündest? Wenn ja, gehörst du zur singenden Minderheit. In einer Umfrage des Statistik-Portals Statista.com unter 1.003 Befragten gaben nur knapp über 30 Prozent der Befragten an, dass sie das “Lied der Deutschen” mitsingen.
Auf der Suche nach der beliebtesten Nationalhymne zur Fußball-WM haben wir bei YouTube die Anzahl der Aufrufe und bei Google die Trefferzahlen bei der Suche nach dem konkreten Namen der Nationalhymne recherchiert. Außerdem haben wir bei YouTube die Anzahl der Aufrufe pro Einwohner des jeweiligen Landes ermittelt.
Über 1.253.000 Aufrufe bei YouTube bei nur 350.000 Einwohnern! Island ist das kleinste Land, das es bisher zu einer Fußball-WM geschafft hat, aber seine Nationalhymne gehört zu den ganz großen, zumindest was die Beliebtheit betrifft. Knapp 3,6 Aufrufe pro Einwohner: Isländer scheinen ihren “Lofsöngur” (Lobgesang) zu lieben.
Mit fast 80 Millionen Aufrufen bei YouTube und knapp 5,5 Millionen Treffern bei Google liegt die französische “Marseillaise” zahlenmäßig vorne, gefolgt von der britischen Nationalhymne “God save the Queen” mit rund 53 Millionen Aufrufen bei YouTube und zirka 460.000 Treffern bei Google. Mit ungefähr einem Aufruf pro Einwohner können aber beide nicht mit der isländischen Nationalhymne mithalten. Schon gewusst: Sollte nach Elisabeth II. wieder ein König den englischen Thron besteigen (nach heutigem Stand wäre das Prinz Charles), ändern sich auch der Name der Nationalhymne und der Text in “God save the King”.
„God save the Queen“ ist übrigens nicht nur die Nationalhymne des Vereinigten Königreichs von Großbritannien, sondern auch eine der beiden Nationalhymnen von Neuseeland. Sie existiert bis heute in allen Commonwealth Realms als Königshymne. Das spricht zusätzlich für ihre Beliebtheit. Zudem wird die Melodie auch für die Nationalhymne Lichtensteins verwendet.
Weitere Nationalhymnen mit einer großen Anzahl an Aufrufen bei YouTube und einer hohen Trefferzahl bei Google sind die brasilianische “Hino Nacional Brasileiro” (YouTube: 44.719.920 / Google: 453.000), die mexikanische “Himno Nacional Mexicano” (YouTube: 33.077.022 / Google: 381.000) und die argentinische “Himno Nacional Argentino” (YouTube: 24.684.125/ Google: 496.000). Die Aufrufe pro Einwohner liegen bei allen drei zwar weit unter einem Aufruf, aber gerade den Brasilianern kann man wohl kaum unterstellen, dass sie ihre Hymne nicht aus ganzem Herzen intonieren würden. Bei der Fußball-WM vor vier Jahren sangen die Fans sogar noch weiter, als die Musik und die vom Verband vorgeschriebene Zeit von maximal 90 Sekunden schon lange vorbei waren.
Mit 432.000 Treffern bei Google steht auch die iranische Hymne “Ey Iran” bei den Trefferzahlen auf den oberen Plätzen. Allerdings ist sie nicht die offizielle Nationalhymne des Irans, auch wenn sie bei der Suche nach “iranische Nationalhymne” mit einer hohen Trefferzahl auftaucht. Das wahrlich poetische “Ey Iran”, das eine große Liebe zum Iran besingt, war zwar nach 1979 für kurze Zeit offizielle Nationalhymne, wurde dann aber nach der Gründung der Islamischen Republik Iran durch die offizielle Nationalhymne “Soroud-e Melli-ye Dschomhuri-ye Eslami-e Iran” ersetzt. Nun gibt es zwei Hymnen im Iran, eine Hymne des Herzens und eine offizielle.
Die deutsche Nationalhymne liegt bei den YouTube-Aufrufen auf Platz acht hinter den Nationalhymnen von Frankreich, Großbritannien, Brasilien, Mexiko, Argentinien und Saudi-Arabien, aber vor dem Gastgeberland Russland. Bei der Google-Trefferanzahl hat jedoch die russische Nationalhymne “Gimn Rossijskoi Federazii” die Nase vorne. Die portugiesische Nationalhymne “A Portuguesa” liegt bei den Google-Treffern sogar auf Platz zwei hinter Frankreich.
Land | Aufrufe pro Einwohner | Aufrufe YouTube | Einwohner |
---|---|---|---|
Island | 3,58 | 1.253.554 | 350.000 |
Frankreich | 1,23 | 79.896.445 | 65.000.000 |
Kroatien | 1,19 | 4.894.830 | 4.100.000 |
Schweden | 1,18 | 11.927.600 | 10.100.000 |
Serbien | 1,07 | 7.492.591 | 7.000.000 |
England | 1,00 | 52.808.327 | 53.010.000 |
Portugal | 0,86 | 8.818.143 | 10.300.000 |
Belgien | 0,73 | 8.222.434 | 11.300.000 |
Saudi-Arabien | 0,66 | 21.408.569 | 32.600.000 |
Australien | 0,64 | 15.588.033 | 24.500.000 |
Dänemark | 0,58 | 3.311.691 | 5.748.769 |
Uruguay | 0,56 | 1.953.538 | 3.500.000 |
Argentinien | 0,56 | 24.684.125 | 44.300.000 |
Marokko | 0,35 | 12.453.267 | 35.100.000 |
Polen | 0,34 | 13.157.385 | 38.400.000 |
Costa Rica | 0,32 | 1.587.250 | 4.900.000 |
Kolumbien | 0,29 | 14.250.964 | 49.300.000 |
Schweiz | 0,29 | 2.443.970 | 8.500.000 |
Spanien | 0,27 | 12.549.822 | 46.600.000 |
Mexiko | 0,26 | 33.077.022 | 129.200.000 |
Deutschland | 0,22 | 18.200.975 | 83.100.000 |
Tunesien | 0,22 | 2.512.345 | 11.500.000 |
Brasilien | 0,22 | 44.710.920 | 207.900.000 |
Russland | 0,12 | 16.739.156 | 144.500.000 |
Peru | 0,12 | 3.659.526 | 31.800.000 |
Südkorea | 0,08 | 4.079.709 | 51.400.000 |
Japan | 0,07 | 9.234.132 | 126.700.000 |
Iran | 0,07 | 5.831.287 | 80.600.000 |
Panama | 0,07 | 267.727 | 4.100.000 |
Ägypten | 0,06 | 5.696.142 | 93.400.000 |
Senegal | 0,02 | 369.888 | 15.800.000 |
Nigeria | 0,01 | 1.881.086 | 190.900.000 |
Wer sich an die spektakulären Klatsch- und Rufeinlagen der Island-Wikinger während der letzten Fußball-EM erinnert, wird kaum vermuten, dass die Spieler von einem Blümchen singen werden, wenn sie am 16. Juni in Moskau im Spartak-Stadion zu ihrem ersten Spiel antreten. Die isländische Nationalhymne besteht aus einem Choral, in dem sich Volk und Land demütig ergeben als “ein Blümchen der Ewigkeit mit zitternden Tränen, das zu einem Gott betet”. Fast wie ein Gebet mutet die serbische Nationalhymne “Gott der Gerechtigkeit” an. Dort heißt es: “Gott errette, Gott ernähre die serbischen Länder, die serbische Sippe” und “mit mächtiger Hand führe, beschütze des serbischen Schiffes Zukunft”.
Richtig poetisch wird es, wenn die Japaner ihre kurze Nationalhymne anstimmen. Sie besteht nur aus wenigen Worten und lehnt sich an die Tradition der Haikus an, die zu den ältesten und kürzesten Gedichten der Welt zählen und einem festgelegten Schema folgen: “Eure Herrschaft währe tausend Generationen, achttausend Generationen, bis ein Steinchen zum Felsen wird (–) auf dem Moos sprießt.”
Es geht aber auch anders. Das berühmte “Marchons, marchons” der französischen Marseillaise, das gerne auch von Nichtfranzosen geschmettert wird, ruft auf “zu den Waffen, Bürger, formiert eure Truppen, marschieren wir, marschieren wir! Unreines Blut tränke unsere Furchen!” Weiter heißt es: “Hört ihr auf den Feldern diese wilden Soldaten brüllen? Sie kommen bis in eure Arme, um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden.” Pathos und Kampfgeist schwingen auch durch die Stadien zwischen Sankt Petersburg und Sotschi, wenn die Portugiesen ihren Refrain “Zu den Waffen, zu den Waffen” anstimmen, die Argentinier schwören, “ruhmreich zu sterben” und die Mexikaner ihre Nationalhymne mit “Mexikaner, beim Ruf zur Schlacht” beginnen, ohne das hoffentlich allzu wörtlich zu nehmen. Und selbst die friedlichen Schweden verteidigen Heim und ausdrücklich auch Herd mit der Treue bis zum Tode.
Für Panama hingegen “ist das Kriegsgeschrei vergangen, nur noch herrscht brüderliche Liebe”. Das Land, das zum ersten Mal an einer Fußball-WM teilnimmt, feiert in seiner Nationalhymne die Unabhängigkeit von Kolumbien. Friedliche Töne schlägt auch die ägyptische Nationalhymne “Biladi, Biladi, Biladi” an: “Mein Heimatland, mein Heimatland, mein Heimatland, mein Herz schlägt liebevoll für dich”. Seit dem Friedensvertrag mit Israel im Jahr 1979 ersetzt sie die bis dahin offizielle und kriegerischere Nationalhymne “Walla Zaman Ya Selahy”, das so viel bedeutet wie “Oh, meine Waffe”.
Freiheit und Unabhängigkeit sind ein zentrales Thema in vielen Nationalhymnen. “Mit blitzendem Strahl” erscheint den Brasilianern “die Sonne der Freiheit”, nach der Unabhängigkeit von Portugal. Manche Nationalhymnen preisen aber auch einfach nur die Schönheit des Landes. “Das Meer umschließt unsere Heimat, unser Land ist reich an Gaben der Natur, von kostbarer und erlesener Schönheit” singen die Australier in ihrer Hymne “Advance Australia Fair” und “Schreite voran, schönes, glückliches Australien”. Einen ganz anderen Weg haben die Spanier beschritten: Sie hören ihrer textlosen Nationalhymne einfach wortlos zu.
“Von südlichen Meeren bis zum Polargebiet erstrecken sich unsere Wälder und Felder” und “einen weiten Raum für Träume und Leben”, heißt es in der Nationalhymne der Russischen Föderation, die seit Dezember 2000 offizielle Nationalhymne ist. Auch von mächtigem Willen und großem Ruhm wird hier gesungen.
Sind Weltmeisterschaften, Olympische Spiele oder Staatsempfänge ohne Nationalhymnen denkbar? Hymnen von Nationen sind aus ganz unterschiedlichen Anlässen entstanden. Die Isländische wurde im Zuge des Jubiläums verfasst, das die 1.000-jährige Besiedlung Islands feierte. Der Text stammt von einem Priester und lehnt sich an Psalm 90 der Bibel an. Die “Marseillaise” bzw. deren erste Fassung, wurde in nur einer Nacht geschrieben und zwar während der Kriegserklärung an Österreich. Das “Deutschlandlied” wurde 1922 von Reichspräsident Friedrich Ebert zur Nationalhymne ernannt, weil es davor keine offizielle gab.
Der Ursprung vieler Nationalhymnen liegt in Liedern, die lange bei offiziellen Anlässen gesungen wurden, bevor sie zur Nationalhymne wurden. Andererseits gibt es bis heute Lieder und Musikstücke, die keine offiziellen Nationalhymnen sind, bei verschiedensten Anlässen aber gerne gesungen und gespielt werden. Bestes Beispiel ist Großbritannien, wo es mit “Rule, Britannia”, “Land of Hope and Glory” und “Pomp and Circumstance No.1” gleich drei Hymnen gibt, die neben der offiziellen Nationalhymne ihren angestammten Platz haben.
Es gibt also eindeutig ein Bedürfnis nach einem verbindenden Element. Dass es Musik ist, ist kein Wunder. Musik setzt Gefühle frei, auch das Gefühl von Gemeinsamkeit. Dass viele Nationalhymnen gerade in Kriegszeiten eine große Rolle spielten, ist die negative Seite der Medaille. Dass sie heute aber auch gesungen werden, wenn ein Land gemeinsam Zuversicht und Stärke sucht, ist eine der positiven Seiten. Rituale haben einen großen Symbolgehalt und sind in der Menschheitskultur fest verankert. Würde ohne das Ritual der Nationalhymne etwas fehlen?
Letztlich muss deshalb jeder selbst entscheiden, welchen Wert er (s)einer Nationalhymne beimisst. Tatsache ist, dass es auch in Zukunft einige Bereiche des öffentlichen Lebens geben wird, etwa Politik und Sportveranstaltungen, in denen Nationalhymnen eine wesentliche Rolle spielen. Ganz gleich, welche Hymne wir am 15. Juli 2018 in Sankt Petersburg von der Siegermannschaft hören werden – wir wünschen allen Mannschaften eine faire und spannende Fußball-WM! Wir hoffen aber auch, dass das Ergebnis der Auswertung nicht repräsentativ für das Abschneiden der deutschen Mannschaft sein wird.